Wo einst Reisende aus aller Welt ankamen und abflogen, tummeln sich in den kaum umgebauten Flughafenhallen hunderte Jugendliche, sich unterhaltend, lachend, zu Disco- und Rockmusik shakend. An den ehemaligen Abfertigungsschaltern werden Getränke ausgeschenkt. Im Terminal nebenan findet ein Hardcore-Konzert statt. Die Szenerie wird von headbangenden und stagedivenden Fans, Jugendliche, die von der Bühne ins Publikum springen, bestimmt. Die neuen Riemer Kulturhallen waren vom ersten Tag an ein Erfolg.
Zur Chronologie: Nach der Auslagerung des Flughafens von Riem nach Erding fiel praktisch über Nacht ein Gelände von 380 Hektar in das Eigentum der Stadt München zurück. Hier soll ein völlig neuer Stadtteil mit 6.000 Wohnungen, überregionalen Grün- und Erholungsflächen, einem eigenen U-Bahnanschluß und der Münchner Messe entstehen. Eine der letzten großen Flächenreserven im regulierten und funktionalisiertem Stadt-Raum.
Ein Vorhaben dieser Größenordnung kann natürlich nicht von heute auf morgen geplant und realisiert werden. Daher hat sich der Stadtrat entschlossen, einen Teil des Geländes bis zu Baubeginn zu vermieten.
Verwaltungsdirektor Karl Peter Rank gibt offen zu, daß es vor allem wirtschaftliche Interessen waren, die die Stadtverwaltung bewogen haben, das Gelände für eine zwischenzeitliche Nutzung freizugeben. Immerhin erwirtschaftet sich die Stadt München, in der Überbrückungszeit von drei Jahren beträchtliche Mieteinnahmen. Weiters gibt Rank zu bedenken: "...wenn sie die leerstehenden Gebäude nicht nutzen, nisten sich von selbst Nutzer ein und möglicherweise Nutzer, die sie nicht haben wollen. Ferner waren die Gebäude vor Vandalismus zu schützen."
Nach einigem Hin und Her bei der Vergabe bekam Wolfgang Noeth, ein erfahrener Münchner Kulturveranstalter, den Zuschlag. Um die strengen Auflagen der Genehmigungsbehörde zu erfüllen, mußten die angemieteten Objekte vom Betreiber um 6 Millionen Mark adaptiert werden. Viele Interessenten bezweifelten, ob Investitionen in solch einer Höhe bei einer Befristung von drei Jahren rentabel umsetzbar seien. Noeth versichert jedoch, daß sich die Kosten des Umbaus bereits nach einem Jahr amortisiert haben. Das Nutzungskonzept stellt eine Fortführung der in München bereits traditionellen "Hallenkultur" dar: ein reichhaltiges Kulturprogramm (Konzerte, Kabarett, Theater) kombiniert mit attraktiven, kommerziellen Publikumsmagneten (Parties, Clubbing, Disco, Flohmarkt, Antiquitäten-, Gebrauchtwagenhandel). Die Rechnung des Betreibers ist aufgegangen, von der ersten Veranstaltung an war dem Projekt ein enormer Erfolg beschieden.
Die örtlichen und räumlichen Voraussetzungen sind am ehemaligen Flughafengelände, abgesehen von der zeitlichen Befristung, optimal: Anbindung an die Autobahn, genügend Parkplätze, gute verkehrstechnische Anbindung, großer Abstand zur Wohnbevölkerung.
Auch ein unter Münchner Stadtverwaltung verbliebener Teil des Geländes wird zwischengenutzt. Dort befinden sich ein Gehörlosentheater, eine Radiostation, Proberäume, Malerateliers und Verwaltungsbüros. Ein ehemaliges Verwaltungsgebäude der Flughafengesellschaft wurde zum Studentenwohnheim umfunktioniert, verschiedene Gebäude an die Regierung von Oberbayern verpachtet, die dort Asylbewerber unterbringt. Darüber hinaus wurden auch die riesigen Freiflächen zwischengenutzt. Die Palette der Nutzungen reicht von Landwirtschaft über Modellfluggelände bis zum Fahrertraining-Übungsplatz eines Automobilkonzerns.
Für Siegfried Hummel, Kulturreferent der Stadt München, ist klar, daß für Szenekultur Raum geschaffen werden muß. "Ein Flughafen hat natürlich per se einen Aufforderungscharakter, zu einem Flughafen geht man dann, wenn man die Stadt verlassen möchte. Es gibt viele junge Leute, die immer wieder mal das regelmäßige Bedürfnis haben, die Stadt auch zu verlassen und gehen deshalb schon aus diesem Grunde gern dorthin. Das zweite ist, daß ein Flughafen, ein Symbol ist für Internationalität, für Multikulturalität, dort treffen sich Menschen aus der ganzen Welt, die ankommen und die abfahren." erklärt der Kulturverantwortliche die große Attraktivität des ehemaligen Flughafens.
Von einer zeitlich befristeten Nutzung hält Hummel prinzipiell nicht viel und spricht damit den Kern der Problematik an: "Eine Zwischennutzung bedeutet, daß jemand einige Jahre in einer Halle ist und sie dann wieder verlassen muß. Er hat sich an den Ort, an das Ambiente gewöhnt und jedesmal ist der Abschied dramatisch und führt zu großen kulturpolitischen Verwerfungen und Diskussionen..."
Diskussionen, aus diesem zeitlich befristeten Kulturprojekt eine Dauereinrichtung zu machen, gab es auch in Stadtratskreisen. Eine Entscheidung ist mittlerweile gefallen. Die alten Gebäude müssen weichen. Bis auf zwei Ausnahmen. Der Flughafen-Tower und der sogenannte Wappensaal, der unter Denkmalschutz steht, sollen erhalten bleiben und den historischen Bezug des neuen Stadtteils wahren.
Am 1. Juli 1996 werden die Hallen geschlossen. Mit Problemen rechnen weder die Herren vom Kommunalreferat noch der Betreiber. Trotzdem hat Wolfgang Noeth prophylaktisch 80.000 Unterschriften gesammelt, die sich für einen Verbleib der Veranstaltungen und des Flohmarktes am ehemaligen Flughafengelände aussprechen.