Er muss ein eigenartiger Mensch gewesen sein. Ein Chronist ohne Ambitionen, ein Sammler ohne Leidenschaft, ein sozialgeschichtliches Medium ohne Absicht und ein Dokumentarist ohne Ziel. Onkel Poidi war Hilfsarbeiter in einem oberösterreichischen Steinbruch. Und als er im November 1995 stirbt, hinterließ er der Nachwelt einen Karton voll Papier: tausende Notizen, handschriftlich kopierte Kleinanzeigen, kommentierte Rechnungen, Mikroprotokolle und Schriftstücke aller Art. Onkel Poidi warf, jahrzehntelang und unbemerkt, ein Ordnungsnetz über seine Welt. Und erst wenn er die Dinge und Ereignisse protokolliert hatte, fanden sie ihren Platz.
Am 9. Jänner 1981, es war ein Mittwoch, notierte er: "2 Überstunden. Unterm Brecher zusammengeputzt wegen dem starken Gefrieren". Am Dienstag, den 5. Februar genügte eine "halbe Überstunde". Dafür hat Onkel Poidi "unterm Brecher" diesmal auch nur "halb zusammengeputzt".
Tage später aber konnte er wieder "2 Überstunden" notieren. Und: "Unterm Brecher gründlich zusammengeputzt".
Gründlich war Onkel Poidi ohne Frage. In allem was er tat. Er berechnet seine Urlaubsstunden, und er führt über seine Freizeit, über Ausgaben und über Dienstleistungen penibel Buch. Nichts, aber auch gar nichts, ist zu klein, zu unbedeutsam oder gar zu trivial, um von Onkel Poidi nicht wahrgenommen zu werden. Einmal kauft er "1 Stück Taschenlampenbirndl, Preis 6 Schilling", ein nächstes Mal "2 Stück Taschenlampenbatterien".
Das "Birndl" wird zu Hause gleich "ausprobiert" und - es "funkzieoniert". Am meisten beschäftigt Onkel Poidi freilich sein Beruf. Die immerwiederkehrenden Arztbesuche legen davon Zeugnis ab: "Dienstag, 9. Juni 1981, 8 Stunden Urlaub genommen wegen starker Kreuzschmerzen. Hervorgerufen vom wahnsinnigen Schaufeln...".
Onkel Poidi blieb, nach einer ersten gescheiterten Ehe bis ans Ende seiner Tage unverheiratet. Was ihn aber nicht daran hinderte, Heirats- und Einheiratsadressen zu sammeln und zu studieren. Als er, auf Vorschlag eines Partnervermittlungsinstituts, die "röm-kath. Witwe Frau Katharina R. aus Mattsee-Palting" telefonisch kontaktiert, legt diese "mitten im Gespräch" einfach auf: "Muss eine totale Kanaille sein". Und als eine "fleißige Jungbäurin" einem "arbeitsamen, charaktervollen Burschen Einheirat auf schöne, ertragreiche Landwirtschaft" anbietet, kommentiert Onkel Poidi resigniert: "Aussichtslos".
Clubzeitschrift Ö1 gehört gehört
Text als pdf | Originalartikel | zum Anhören